Ist das noch ein Fahrrad? Mit dieser Frage musste sich nun die Europäische Kommission beschäftigen. Dem fortschreitenden Entwicklungsdrang auf dem E-Bike-Markt kommen die Bürokraten oft nur langsam hinterher. Nun steht jedoch fest: E-Bikes mit seriellem Hybrid Antrieb gelten definitiv als Fahrräder.
Ohne Kette, ohne Riemen, aber mit Pedalen
Beinahe fünf Jahre hat es gebraucht, um Klarheit zu schaffen. Und es war höchste Zeit. Auf der IAA 2021 in München hat unter anderem der Motorenhersteller Pendix mit seinem Motor eDrive IN für Aufmerksamkeit gesorgt.
Das besondere an dem System: Beim seriellen Hybrid Antriebs schiebt einzig und allein der Motor das E-Bike an. Die Kraft aus den Pedalen wird nicht mehr über eine Kette, einen Riemen oder eine Gelenkwelle an das Hinterrad übertragen.
Da horchen Juristen natürlich auf: Laut der EU-Verordnung 168/2013 ist ein E-Bike doch nur von den Regularien eines Kraftfahrzeugs ausgeschlossen, wenn der Motor ein Hilfsantrieb ist, „dessen Unterstützung unterbrochen wird, wenn der Fahrer im Treten einhält.“ Gasgriffe sind deshalb am E-Bike tabu. Es muss zwingend gestrampelt werden.
Serielle Hybride bieten Vorteile vor allem für Lasten-E-Bikes
Doch genau das geschieht beim seriellen Hybrid Antrieb. Denn der Motor gibt nur Gas, wenn die FahrerInnen in die Pedale treten. Über einen Tretgenerator erzeugen die FahrerInnen sogar ein wenig Strom, der in den Akku gespeist wird. Wozu dann das Ganze? Warum bedient man sich nicht an einem normalen Antriebsstrang?
Christian Hennig, leitender Entwickler bei Pendix, erklärt dazu: „Durch den Einsatz eines Tretgenerators entfallen alle mechanischen Verschleißteile des konventionellen Antriebsstranges wie Kette, Kettenblätter oder Ritzel. Das steigert die Zuverlässigkeit und verringert den Wartungsaufwand signifikant. Zudem kann der komplette Raum zwischen den Rädern genutzt werden.“
Gerade Lastenrädern, die aufgrund des höheren Gewichts zusätzlichem Verschleiß ausgesetzt sind, kommt das zugute. Anstelle komplizierter Mechanismen zur Kraftübertragung gibt es nun weniger Material und mehr Platz am E-Bike. Hinzu kommen Möglichkeiten wie die elektronische Gangschaltung, denn der Tretgenerator reguliert auch das Drehmoment, mit dem die FahrerInnen in die Pedale treten. Das soll für ein beinahe natürliches Fahrgefühl sorgen.
Eine Entscheidung für die Fahrrad-Evolution
Doch damit nicht genug: Sogar ein Rückwärtsgang ist laut Hennig denkbar. Dafür bräuchte es lediglich die entsprechende Software. Die Entscheidung der EU-Kommission sorgt nun für Klarheit und gibt dem Entwicklergeist freie Fahrt, wie Hennig erklärt: „Zur Wahrung der Technologieneutralität spielt es dabei keine Rolle, ob das Fahrrad mit einer mechanischen Kette ausgestattet ist oder nicht – solange der Antrieb nur unterstützt und der Fahrer auch in die Pedale tritt. Für uns war unser neuer Antrieb schon bei der Entwicklung der nächste Schritt in der Fahrrad-Evolution. Wir sind deshalb froh, jetzt auch Rückendeckung aus Brüssel zu haben.“
Nicht nur bei Pendix dürfte die Freude groß sein. Auch der Antriebshersteller Schaeffler hat im letzten Jahr seinen seriellen Hybrid Antrieb FreeDrive vorgestellt. Dass sich weitere Motorhersteller anschließen werden, ist durchaus wahrscheinlich. Gerade im Cargo-Bereich dürfte es nun zu einer kleinen Revolution kommen. Vielleicht erwartet uns bald ja schon das erste vierrädrige E-Bike mit Allrad-Antrieb? Schließlich können die Motoren ohne Antriebsstrang viel leichter angesteuert werden. Die Anzahl der Räder ist rechtlich ebenfalls nicht relevant für die Einordnung als Fahrrad.