Hybrider geht es nicht. Ein neues kanadisches Unternehmen hat ein abgefahrenes E-Bike entwickelt, welches optisch und technisch alles Bekannte über den Haufen wirft. Das Electrom LEV ist ein Liegerrad, welches sich ab 15 km/h in eine Art elektrisches Motorrad verwandelt.
Die Goldwing der E-Bike-Welt
Das Electrom LEV ist für den E-Bike-Sektor so etwas wie die Honda Goldwing in den 80er Jahren für die Motorradwelt war: Ein E-Bike, dass eher die Richtung „Schlachtschiff“ einschlägt als dem Trend der filigranen Flitzer zu verfolgen. Mehr ist hier offensichtlich mehr.
Als Basis des E-Liegerrads dient ein stabiler Aluminiumrahmen, der es mit allerlei Karbon-Verkleidungsteilen zu einem sportliche-nostalgischem Retrodesign schafft, jedoch ebenso seinen praktischen Nutzen hat.
Eine lange und flache Windschutzscheibe für Bodenhaftung und Aerodynamik, eingelassene LEDs für hervorragende Sichtbarkeit im Dunkeln und ein Kofferraum, der mit 120 Litern Fassungsvermögen nicht nur für den Einkauf herhält, sondern mit wenigen Handgriffen auch einen mit auf Reisen nehmen kann.
Nur auf Seitenwände verzichtet das LEV. Schließlich soll die Fahrt auf zwei Rädern auch bei starkem Wind möglich sein. Im Video zeigen die Kanadier, dass selbst Schnee das flotte Gefährt nicht aufhalten kann.
Gelenkt und gebremst wird, wie am Liegerrad typisch, über zwei Lenkstangen, die sich links und rechts vom Fahrer oder der Fahrerin befinden. Doch damit nicht genug. Beim kanadischen E-Liegerrad kannst du hier auch noch ordentlich Gas geben.
Hybrider Motor mit brillanter Steuerung
Um diese Masse an E-Bike anzutreiben, setzt das Electrom LEV auf gleich zwei Antriebe: Einen in der Hinter- und einen in der Vorderradnabe. Der Doppelantrieb ist derzeit noch äußerst selten und selbst der innovative Hersteller VanMoof sorgte noch für eine Überraschung, als er sein zukünftiges S-Pedelec V vor wenigen Tagen mit dem Doppelantrieb vorstellte.
Der Antrieb des Electrom Liege-E-Bikes spielt jedoch scheinbar in einer anderen Liga, da er verschiedene technische Raffinessen ineinander vereint: Der Frontmotor punktet vor allem im niedrigen Geschwindigkeitsbereich und sorgt dafür, dass du schnell von der Stelle kommst. Der Heckmotor hingegen hält die hohe Geschwindigkeit und verbraucht dabei weniger Strom.
Gleichzeitig lässt sich die Kurbel komplett vom Antrieb entkoppeln und speist stattdessen Strom in den Akku ein. Über einen Gasgriff an der rechten Lenkstange passt du dann die Geschwindigkeit an. Ein ähnliches System wurde kürzlich vom Automobilausstatter Schaeffler und dem Antriebshersteller Pendix vorgestellt. Die Unternehmen möchten die Kurbel vom Motor trennen, um die Fahrt mit Lasten-E-Bikes zu erleichtern.
Drei Fahrtstufen: Vom E-Bike bis zum Motorrad
Die technischen Feinheiten greifen während der Fahrt gekonnt ineinander. Zunächst fährst du mit dem Electrom beinahe wie mit einem herkömmlichen E-Bike an. Die Kette treibt das Hinterrad an und die beiden Motoren unterstützen dich bei der Anfahrt. Zwei Motoren sind ungewöhnlich, die Funktionsweise jedoch einleuchtend.
Ab einer Geschwindigkeit von 15 km/h wird es dann jedoch spannend: „Cruising Speed“ nennen die Entwickler den Fahrmodus, bei dem der Freilauf deinen Antrieb entkoppelt und du von nun an per Handgriff Gas gibst. Dein Pedaltritt sorgt derweil dafür, dass du kontinuierlich deinen Akku lädst.
Ab einer Geschwindigkeit von 28 km/h setzt dann der Sparmodus ein: Der vordere Motor schaltet ab und dein Heckantrieb erreicht sein optimales Leistungsspektrum. Ziehst du weiter am Gasgriff, schaffst du es auf ca. 60 km/h. Je nachdem, wie stark du dabei in die Pedale trittst, bringst du das E-Bike-Schiff auf eine Reichweite von bis zu 220 Kilometern. Das ist knapp die Strecke von Düsseldorf bis Amsterdam.
Gewaltige Akkuleistung und Rekuperation
Dieses Rechenbeispiel des Herstellers setzt jedoch voraus, dass du unter günstigen Bedingungen kontinuierlich mit über 65 Pedalumdrehungen pro Minute 150 Watt in das System einspeist. Viel ist das nicht, verglichen mit der Akkukapazität von 2800 Wattstunden und vor allem der Leistung von bis zu 3700 Watt.
Hinzukommt allerdings noch die Rekuperation: Wann immer du bremsen musst, speist auch die Verlangsamung etwas Energie ins System ein. Ob es von Düsseldorf nach Amsterdam reicht?
Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h ist das E-Bike allerdings zunächst nur etwas für den nordamerikanischen Markt. Um als E-Bike in der EU anerkannt zu werden, muss der Motor auf eine Nennleistung von 250 Watt und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h gedrosselt werden, was nach Angaben des Erfinders jedoch möglich ist. Auch für ein S-Pedelec könnten die zulässigen Werte eingehalten werden, das innovative Liegerad hat dafür allerdings noch keine Zulassung.
Wer es jedoch trotzdem wagen möchte, die E-Bike-Goldwing einer Zulassungsstelle vorzuführen, kann das Electrom als Bausatz für ca. 8.600 Euro über die Hersteller-Website ordern. Hinzukommen dürften bei der Bestellung aus Kanada auch noch Zollkosten und Lieferkosten. Schade eigentlich, denn das Antriebskonzept hebt den hybriden Antrieb auf eine neue Stufe. Außerdem behaupten die Entwickler, dass das Bike durch austauschbare Teile eine beinahe unendliche Lebenszeit habe. Vielleicht lohnt sich die Investition also doch?